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Über den Tellerrand hinaus - Interview mit Ulrike Schneck über die bundesweite Vernetzung in der BAfF
Ulrike Schneck ist seit 2019 Mitglied des Vorstands der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.). Im November 2023 wurde sie zur Vorsitzenden des Vorstands gewählt. Im Interview gibt sie Einblicke in diesen Bereich ihrer Arbeit.
Du kennst die BAfF bereits seit zehn Jahren. Wie würdest du die wichtigsten Entwicklungen in der Vernetzung der Psychosozialen Zentren (PSZ) auf Bundesebene in dieser Zeit beschreiben?
Die BAfF wurde 1996 gegründet, im Jahr 2015 erschient erstmals der bundesweite „Versorgungsbericht“. Damals waren es nur 26 Zentren, inzwischen sind wir 47! Daran sieht man, dass das Versorgungsmodell der Psychosozialen Zentren sich in den letzten zehn Jahren als sehr erfolgreich erwiesen hat. Es ist uns gelungen, bundesweit eine Verbesserung der Versorgung traumatisierter Geflüchteter zu erreichen.
Welche Fragen beschäftigen die Bundesgeschäftsstelle und den Vorstand aktuell am meisten?
Die BAfF bringt sich in gesellschaftliche Debatten und politische Entscheidungsprozesse ein, immer mit Blick auf die besonderen Bedarfe der in den PSZ betreuten Klient:innen. Diese sind von den aktuellen Gesetzesverschärfungen unmittelbar betroffen: So nehmen die PSZ Geflüchtete auf, die aufgrund der reduzierten Gesundheitsleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz keine Chance haben, im Regel-Gesundheitssystem versorgt zu werden. Dieses Gesetz führt zu einer schlechten Versorgung und gerade bei psychisch schwer traumatisierten Geflüchteten kommt es durch Nichtbehandlung zu Chronifizierung und verursacht langfristig höhere Gesundheits-, Verwaltungs- und Integrationskosten. Heute und in Zukunft fordern wir deshalb die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und kritisieren auch alle weiteren Asylverschärfungen.
Und wo siehst du die größten Herausforderungen für die Psychosozialen Zentren in ihrer Gesamtheit?
Die PSZs in Deutschland sind alle prekär finanziert, und das muss sich dringend ändern! Daneben müssen wir uns in der täglichen Arbeit ständig auf die veränderte Asylpolitik einstellen. Viele der Neuerungen verschlechtern die Lebenssituation unserer Klient:innen und führen dadurch zu psychischen Krisen, mit denen wir in den PSZ konfrontiert sind. Die immer offenere Infragestellung menschenrechtlicher Grundprinzipien im öffentlichen Diskurs ist für die Mitarbeitenden in den Zentren besonders belastend.
Was hast du dir für die Arbeit als Vorstandsvorsitzende vorgenommen?
Ich sehe die BAfF als wichtige Organisation, die sich für Menschenrechte von Geflüchteten stark macht, insbesondere für besonders Schutzbedürftige und deren psychische Versorgung. In dieser Frage verfügt die BAfF mit ihren Mitgliedsorganisationen über jahrzehntelange Erfahrung, die sie mit lauter Stimme in die Debatten einbringt. Ich möchte dazu beitragen, das Profil der BAfF weiter zu stärken und dafür auch intern stabile Strukturen zu schaffen. Die Vernetzung der PSZ ist meines Erachtens in diesen gesellschaftlich und politisch herausfordernden Zeiten wichtiger denn je.
Welche Synergien siehst du zwischen deiner Arbeit als Fachliche Leitung und Vorstand bei Refugio Stuttgart und deinem Engagement in der BAfF?
Für die Arbeit im Vorstand der BAfF ist es bereichernd, dass ich meine Erfahrung aus zehn Jahren praktischer Arbeit bei Refugio Stuttgart e.V. einbringen kann. Es ist wichtig, dass auf Bundesebene die politischen Forderungen auf den Erfahrungen unserer Praxis fußen. Umgekehrt macht die Zusammenarbeit mit den anderen Vorstandsmitgliedern und der Geschäftsstelle viel Spaß und ermöglicht mir einen viel breiteren Blick über den Stuttgarter Tellerrand hinaus. Daraus entstehen auch neue Ideen und Ansätze für die Arbeit von Refugio Stuttgart.
Im Mai findet die nächste öffentliche Tagung der BAfF statt. Welchen inhaltlichen Schwerpunkt habt ihr gesetzt und für wen ist diese Tagung interessant?
Die Tagung ist diesmal gemeinsam mit medico international vorbereitet und organisiert worden. Angesichts der Erosion von Schutzrechten für Geflüchtete wollen wir uns die Frage stellen, wie wir eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung verteidigen können. Sie richtet sich an Personen, die psychosoziale Arbeit leisten, egal ob sie das beruflich tun oder ehrenamtlich engagiert sind.
24. April 2024